Fragen an den Komponisten Hans-Peter Preu von der Dramaturgin Gisela Zürner

Das Interview – ungekürzt

Gisela: Deine Kantate »Letzte Rufe aussterbender Arten«, die im Rahmen der Spielzeiteröffnung LAST CALL zur Uraufführung kommt, ist dem Aussterben der Lebewesen auf diesem Planeten gewidmet. Massenaussterben von Pflanzen und Tieren gab es ja im Laufe der Evolution schon immer, aber jetzt, im Industriezeitalter, ist es der Mensch, der das gegenwärtige Artensterben verursacht…

Hans-Peter: Ja, es geht darum, dass viele Arten in unserem Umfeld, weltweit, und auch wir Menschen als eine der Arten, unter akuter Bedrohung stehen. Wie mit musikalischen Schlaglichtern wird auf unterschiedliche Aspekte der Bedrohung der Menschheit hingewiesen.

Beteiligt an der Kantate sind vor allem der Opernchor unseres Hauses unter der Leitung von Karl Bernewitz, Stephan Pankow mit einer 7-Saiten-Nylon-Gitarre, ein Duduk für die mystischen Momente und ein präpariertes Klavier, das ich selber spielen werde. Dazu kommt die Tanzcompagnie des Hauses. Sie wird die Genesis gestalten. Der Mensch entsteht und lernt den aufrechten Gang…

Zunächst ist ein Auftrag, ein solches Stück zu komponieren, immer eine Möglichkeit, sich mit einem Thema ganz speziell zu beschäftigen. Im Falle des Artensterbens spielen so viele Aspekte mit hinein, die gemeinsam ein globales Problem ergeben, dass es schwierig ist, die Übersicht zu behalten. Es geht ja nicht nur um das menschenverursachte Aussterben von Tierarten sondern auch um das Aussterben von Pflanzen und ganzer Biosysteme. Es werden aber auch ausgestorben geglaubte Arten wiedergefunden und neue Arten entdeckt. Vielleicht allerdings werden manche neue Arten verschwunden sein, bevor wie ihnen einen Namen geben konnten.

Ich beginne das Stück mit der Schöpfungsgeschichte, wie sie in der Bibel erzählt wird. Arten werden erschaffen, Leben gedeiht, der Mensch erhält den göttlichen Auftrag »Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und macht sie euch untertan«. Wie gesagt: Musikalisch sorgt ein Duduk für eine mystische Atmosphäre und könnte auch als die Stimme Gottes interpretiert werden.

Gisela: So stilistisch unterschiedlich wie die Texte, die du vertonst – von der Antike über die deutsche Romantik und Klassik bis hin zu eigenen Texten und Zitaten von Philosophen und Lyrikern der Gegenwart – so unterschiedlich sind auch deine musikalischen Stilmittel?

Hans-Peter: Vertont sind Texte von Friedrich Rückert, einem Vertreter der deutschen Romantik, aber auch Texte von Hans Magnus Enzensberger bis hin zu den heutigen Nature Lyrics. Es kommen Schriftsteller, Lyriker, Sachbuchautoren, Philosophen und Kabarettisten zu Wort. Dafür werden sehr unterschiedliche musikalische Stilistiken verwendet. Auch ein kindgerechtes Stück wird zu hören sein, in dem Papa Hund seinem Sohn erklärt: Was ist das eigentlich, Natur?

Eine naive Herangehensweise an das Thema, wie sie im KIKA-Fernsehen zu sehen sein könnte, habe ich mit einer an Rossini erinnernden Musik versehen.

Die Frage, die sich der Umweltforscher Frederic Vester gestellt hat »Wieviel wert ist ein Blaukehlchen?« wird mit einer Funky-Musik beantwortet.

Die Spatzen im Gedicht »Die drei Spatzen« von Christian Morgenstern swingen.

Gisela: In deiner Kantate teilen die Menschen die Tiere dieser Welt selbstsüchtig ein in nützlich wie Wale oder Thunfische und unnütz wie Wespen und besuchen zum Freizeitvergnügen einen »Friedhof der ausgestorbenen Tiere« … Zwar hören wir alle vom Weltüberlastungstag, aber machen weiter wie bisher: Verkennen wir als Menschheit den Ernst der Lage?

Hans-Peter: Es sind ja nicht nur die Probleme bekannt, sondern auch vieles, was zu deren Lösung beitragen könnte. Tragischerweise werden die Veränderungen uns alle betreffen, spätestens aber die uns nachfolgenden Generationen. Und man kann sich fragen, ob der Kapitalismus die Gesellschaftsform ist, die für Nachhaltigkeit, Einschränkung und Bewahrung die geeignete ist.

Unsere Menschensicht auf die Tierwelt ist eine egoistische. Wie sonst können uns Schwein, Kuh und Thunfische mehr wert sein als Spinne, Hornisse und Taube? Antwort: Weil sie essbar sind.

Gisela: Als die Umweltaktivistin Carla Hinrichs, Sprecherin der »Letzten Generation«, 2023 bei ihrem Prozess wegen Nötigung angibt, mit ihren Aktionen alles Leben auf der Erde schützen zu wollen, reagiert Richter Weyreuther schnippisch. »Kakerlaken auch?… Der Mensch wird sowieso aussterben, davon bin ich fest überzeugt. Das lässt sich nicht verhindern, dafür ist er zu dumm.«¹ So zynisch der Richter das Engagement der jungen Frau auch abtut – schlimmstenfalls hat er recht? Endet Deine Kantate in der Apokalypse?

Hans-Peter: Im Finale des Stückes gehe ich davon aus, dass der Mensch verschwinden wird und dass sich auf seinem Humus nach einigen Millionen Jahren eine neue Art Mensch entwickelt. Die Hoffnung ist, dass diese neue Art weiser mit dem umgeht, was ihm zur Verfügung steht. Vielleicht aber überlebt auch eine Spur der alten DNA, die daran Schuld sein wird, dass der neue Mensch wieder in die alten Fehler verfällt… Mein Fazit heißt: »Die Hoffnung ist ein hohes Gut!«

Wenn es mit der Kantate gelingt zu unterhalten, aber auch zu verunsichern und zum Nachdenken anzuregen, hat das Stück sein Ziel erreicht.

Gisela: Vielen Dank für das interessante Gespräch!

»Fire-Fighters aller Länder, dämmt die Brände ein!« ²

»Was wir für die moderne Zivilisation halten, sind in ›Wirklichkeit‹ Effekte von Waldbränden […]. Die moderne Menschheit ist ein Kollektiv von Brandstiftern, die an die unterirdischen Wälder und Moore Feuer legen.«
Es ist evident, »daß kein einziger Hektar des unterirdischen Waldes oder Moores, der als Kohle, Öl oder Gas in Flammen aufgeht, je nachgepflanzt werden wird.«
»Tatsächlich ist das geldbewegte Gesamtsystem ohne seine luxurierende Konsumseite mitsamt ihren babylonischen Unterhaltungs- und Amüsierindustrien nicht mehr vorstellbar – seine Anhänge Sportbetrieb und Tourismus einbegriffen.«
Über den Feuerstellen der Menschen »sammeln sich Rauchwolken, die alles andere als Gutes bedeuten. Die Wolken verdichten sich so sehr, daß sie den Bestand der Welt, wie […] Menschen sie bisher kannten, im ganzen in Frage stellen.«
Peter Sloterdijk ²

»Die Verringerung der aktuellen Rate des Artenverlustes aufgrund menschlicher Einflüsse wird schwierige Entscheidungen erfordern. Aber unsere Spezies hat eine beispiellose Fähigkeit, Antworten auf schwierige Fragen zu suchen und zu lernen. In einigen Fällen haben menschliche Gesellschaften bereits gemeinsam beschlossen, dass einige Praktiken so schädlich für das langfristige Überleben […] sind, dass diese Praktiken inzwischen als sozial, kommerziell und moralisch inakzeptabel gelten. […] Es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortung, die jeder von uns trägt, die Vielfalt unseres Planeten […] zu bewahren, im Laufe der Zeit einen ähnlichen moralischen Status erhalten wird. Die einfache Tatsache, dass das öffentliche Interesse am Aussterben und an Biodiversitätsthemen noch nie höher war, kann nur als ein ermutigendes Zeichen gesehen werden.«
Normen MacLeod ³

Textquellen Programmheft: 1 https://www.t-online.de/region/berlin/id_100130052/richter-vs-letzte-generation-mensch-wird-sowieso-aussterben-.html; 2 Peter Sloterdijk, Die Reue des Prometheus / Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung, Berlin 2023; 3 Normen MacLeod, Arten sterben, Darmstadt 2016.